OPERETTE? - MUSICAL?

Es ist eine Tatsache, daß das Genre Operette sich seit mehr als 100 Jahren bei Alt und Jung immer gleichbleibender Beliebtheit erfreut. Leider jedoch wurde diese melodienreiche, witzige und pointenreiche, tänzerische und farbige musikalische Bühnen-Kultur in den vergangenen Jahrzehnten künstlerisch und vom optischen Niveau her sehr vernachlässigt. Man ging davon aus, daß das Musical der Operette den Rang abgelaufen hätte. Es hat sich aber inzwischen herausgestellt, daß dieses Musikgenre tatsächlich nach wie vor präsent ist und seinen Platz auf allen Bühnen der deutsch-sprachigen Theater erhalten hat. Auch die schlechtesten und lieblosesten Produktionen konnten die Werke und vor allem die Musik nicht zerstören. Nach wie vor strömt das Publikum aber in die mittelmäßigsten Operetten-Veranstaltungen, obwohl es leider fast nirgends mehr hochwertige Produktionen angeboten bekommt. Auch das jüngere Publikum ist sehr daran interessiert, die Operettenmelodien zu hören und einen unterhaltsamen musikalischen Abend zu verbringen. Das beweisen die vielen jungen Menschen, die in Operettenveranstaltungen zu finden sind und auch die Erfolge von jungen Künstlern wie André Rieux, Max Raabe etc. Es handelt sich also um eine kulturelle Marktlücke, die mit der Bespielung von reinen Operettentheatern mit jungem Ensemble, gemischt mit namhaften Künstlern zu füllen ist. Eine solche Entwicklung wird eine Lawine ins Rollen bringen, die weltweit zu vermarkten ist. Gerade Länder wie China und seit Jahren Japan sind potentielle Großmärkte  für dieses Musik-Genre aus der dort hochverehrten westlichen Kultur.                

WAS UNTERSCHEIDET DIE OPERETTE VOM MUSICAL?

Die Ausbildung zum Musical-Künstler erfordert eine Gesangsausbildung, die nur auf die Übertragung durch Mikrophon ausgerichtet ist. Im Fachjargon nennt man diese Stimmausbildung „Belting“. Die Technik der Gesangsausbildung für die Operette basiert auf der des Operngesangs, d.h. die Sänger singen (in normalen Musiktheatern) ohne Mikrophon. Dazu kommt bei beiden die tänzerische, sprachliche und schauspielerische Ausbildung, die wiederum bezüglich der Sprache beim Musical-Künstler durch Mikrophon verstärkt werden muß, da Musicalhäuser grundsätzlich technisch verstärkt sind und so der Lifecharakter bei Sängern/Darstellern und Orchester fehlt.
 
Darüber hinaus gehört zu einem Operettenhaus wie zur Oper ein angemessen großes Orchester, ein Chor und ein Ballett, wie auch die Pflege eines Ensembles, um durch den Wiedererkennungswert des einzelnen erfolgreichen Künstlers auch wieder neue Publikumslieblinge, die zu Stars werden, aufzubauen. Somit ist diese Kunstgattung eher der Oper als dem kommerziellen Musical zugehörig.

WIE KOMMERZIELL IST OPERETTE?

Operettenproduktionen, die von der Ausstattung her dem heutigen Standard der Musicalproduktionen und damit den heutigen Sehgewohnheiten des Publikums entsprechen und von der inhaltlichen Umsetzung her auf höchstem Niveau präsentiert werden – d.h. erstklassige und attraktive Künstler, genrespezifische, junge und witzige Regie, musikalisch hohes Niveau etc. – können äußerst vielseitig und erfolgreich national und international vermarktet werden. Durch einen langfristig geplanten Spielplan kann rechtzeitig vor der Premiere und während der Laufzeit ein umfangreiches und gezieltes Marketing durchgeführt werden. Auch Bild- und Tonträger-Industrie werden an einer kommerziellen Auswertung solcher Produktionen profitieren, da spezifische Operetten-Theater neue Musik-Stars kreieren, die dann von den Medien für Tonaufnahmen und TV-Shows herangezogen werden. Dadurch wird ein kommerzieller Effekt erzielt, der wiederum dem Theater als werbeträchtiger Multiplikator dient.  Die kommerzielle Breitenwirkung dieses populären Genres ist vergleichbar mit der der Volksmusik, obwohl die Operette weit entfernt vom rustikalen Bierzeltcharakter ist, sondern vielmehr den Charakter der eleganten Welt, gemischt mit volksnahem Esprit repräsentiert.

Operettenproduktionen sind viel erfolgreicher als die des kommerziellen Musicals, weil sie Melodien beinhalten, die seit mehr als 100 Jahren zu Evergreens wurden und die Deutschland  – wie die der Operette in Wien und Österreich/Ungarn -  musikalisch geprägt und weltweite Popularität behalten haben.

M. Kollo – Stiftung Operette